Michael Golz

Angesichts von Michael Golz‘ Zeichnungen zu seinem fiktiven „Athosland“ wird sich mancher daran erinnern, in seiner Kindheit ebenfalls alternative RealitĂ€ten erfunden zu haben. Jungen spielen zum Beispiel, Ritter, Cowboys oder Gangster zu sein, im Boot zu fahren, im Flugzeug zu fliegen, in einer Höhle oder auf einer Burg zu leben. Ihr Zimmer wird zum Meer oder zur PrĂ€rie, das Bett zum GebĂ€ude, die zusammengestellten StĂŒhle zum Fahrzeug. Dabei geht es zumeist um das BewĂ€ltigen schwieriger oder gefĂ€hrlicher Situationen, ist die Pointe das BekrĂ€ftigen eigener Macht und StĂ€rke.
Diese Erinnerung mag uns ein StĂŒck weit an die Phantasiewelt von Michael Golz heranfĂŒhren, die er seit seinem achten Lebensjahr weiter und weiter ausgestaltet. Sie macht uns aber auch das Besondere daran deutlich, das sich schon Ă€ußerlich in der zeitlichen und rĂ€umlichen Ausdehnung zeigt. Nicht nur hĂ€lt der 1957 geborene KĂŒnstler bis heute an der Idee eines Parallel-Landes fest, er konkretisiert sie in einer stetig wachsenden Zahl von Zeichnungen, zum einen fiktiven Landkarten, die mittlerweile zusammengelegt eine FlĂ€che von ca. 20 x 20 Metern fĂŒllen, zum anderen vielfĂ€ltigen An- und Aufsichten imaginĂ€rer Landschaften, Orte und StĂ€dte.
Was vor allem fasziniert an diesem stĂŒckweisen Erobern einer Phantasiewelt, ist die PrĂ€zision im Sichtbarmachen. Man staunt ĂŒber den Aufwand fĂŒr diese kĂŒnstlerische Überzeugungsarbeit. Golz‘ Zeichnungen bieten uns ein ebenso detailliertes Erfassen von Straßen-, Fluss- und SchienenverlĂ€ufen aus Sicht eines Kartographen wie ein sorgfĂ€ltiges Abtasten von Landschaftsformationen und Architektur aus der Vogelperspektive. Wenn letzteres gleichwohl nur bedingt den Anspruch von Ansichtskarten fiktiver RealitĂ€t erfĂŒllt, so liegt das daran, dass Golz statt impressionistisch Licht- und Schattenwerte zu erfassen seine Welt aus Linien aufbaut und dann die ZwischenrĂ€ume einheitlich koloriert. Das erinnert sicherlich nicht von ungefĂ€hr an Comic-Strips. Das FrĂŒhwerk des KĂŒnstlers, gewissenhaft in Ordnern abgeheftet, ist durchsetzt von Bildgeschichten mit Sprechblasen und Kommentaren.
TatsĂ€chlich spielt das ErzĂ€hlerische auch heute noch fĂŒr Golz eine große Rolle. Seine Bilder stecken voller Ereignisse, die er Interessierten wortreich zu erlĂ€utern weiß. Handelnde sind dabei nicht nur reale und fiktive Menschen, sondern auch Phantasiewesen, wie „ÄngstlichzĂ€hne“, „Ifichen“ und „Brucktiere“, deren reduzierte Form oft keine vollstĂ€ndige Ausstattung mit Sinnesorganen erlaubt. Beim neugierigen Erkundigen nach Herkunft, Bedeutung und Charakter dieser meist eher liebenswert geschilderten Monstren kommt die Geduld des KĂŒnstlers allerdings schnell an ihr Ende – als sei ihm unverstĂ€ndlich, dass man so wenig Erfahrung mit Athosland mitbringe.
Das lenkt auf die besondere Beziehung, die Golz zu seiner Phantasiewelt hat. Unverkennbar bewegt sich der KĂŒnstler in ihr mit der gleichen SelbstverstĂ€ndlichkeit wie in der mit uns im Hier und Jetzt geteilten RealitĂ€t. WĂ€hrend wir im Betrachten dieser erstaunlichen Einblicke in eine fiktive Wirklichkeit noch eine gewisse Übersetzungsleistung erbringen mĂŒssen, so nah an Darstellungen von Vertrautem die Zeichnungen auch sind, kann der KĂŒnstler mĂŒhelos von einer Ebene in die andere wechseln, geradezu: auf der einen wie der anderen leben. Das unterscheidet seine Kunst von oberflĂ€chlich Ă€hnlichen Schöpfungen einer Gegenwelt, wie sie etwa „Alice in Wonderland“ oder „Lord of the Rings“ bieten. Dort wird konzeptuell unserer
Wirklichkeit in moralisierender oder bloß unterhaltender Absicht ein Zerrspiegel vorgehalten. Golz „Athosland“ aber ist eine existentielle, fĂŒr sein subjektives Leben wichtige GegenrealitĂ€t, in vielem tĂ€uschend Ă€hnlich zur Wirklichkeit der anderen, doch stĂ€ndig neu selbstkreiert und deshalb weniger bedrohlich.

Thomas Röske, Leiter Sammlung Prinzhorn, Heidelberg

Inzwischen hat Michael Golz mehrere Preise gewonnen und hatte Ausstellungen in verschiedenen LĂ€ndern:
Euward 7 (1. PreistrÀger), Buchheim Museum, Bernried / Starnberger See, 2018
Athosland, Galerie Fabuloserie, Paris, 2017
Voyage dans le Pays D’Athos, Collection de L’Art Brut Lausanne, Schweiz, 2017
Reise ins Athosland, Kunstmuseum Thurgau, Schweiz, 2016